Offener Leserbrief an die Deutschlehrerin

Anne/ September 27, 2022/ Aus dem Leben

Liebe Frau Deutschlehrerin,

Die gestellte Hausaufgabe für die 5.-Klässler ist wirklich faszinierend. Auch ich hatte damals viel Spaß als ich in der 7. Klasse dazu verdonnert wurde, zwei Wochen Zeitung zu lesen und dafür ein Gratis-Abo erhielt. Daher freute ich mich sehr, als mein Sohn berichtete, dass er eine Zeitung sowie die darin enthaltenen Leserbriefe lesen und anschließend selbst einen Leserbrief zu einem Artikel verfassen sollte. Er ist zwar nicht gerade der Schreibwütige und würde allenfalls ein 140 Zeichen-Briefchen verfassen. Aber die Aufgabe an sich ist definitiv eine interessante Herausforderung. Auch wenn etwas viel verlangt von 10-jährigen.

Doch leider lesen wir in unserem Haushalt keine Papierzeitung. Wir halten uns durch Nachrichten in TV und Radio auf dem Laufenden und lesen gern mal ein paar Spiegel-Artikel.

Also sandte ich meinen Sohn durch das Mehrfamilienhaus. Bei insgesamt 8 Parteien muss es doch jemanden geben, der Zeitung liest. Beim Rentner wurde er fündig. Er kam mit der „Bild“ zurück. Nicht gerade das, was ich für meinen 10-jährigen Sohn als passende „Zeitung“ bezeichnen würde. Schnell wurde auch klar, dass sich hier die Leserbriefe auf das SMS-Format beschränken und von Inhalt mehr als mau sind. Insbesondere, wenn man die zugehörigen Artikel nicht kennt.

Doch mein Sohn gab sein Bestes, musste dann aber doch aufgeben und schrieb Sie an. Die Antwort war im ersten Moment passend, aber je länger sie durch meinen Kopf ging, desto wütender wurde ich.

Sie unterstellten meinem Sohn, dass er sich keine Mühe geben würde und doch auch bei den Nachbarn nach einer Zeitung fragen können. Ok, Sie konnten nicht wissen, dass er das bereits getan hatte. Und Sie kennen ihn definitiv zu kurz, um zu wissen, dass er es immer erst versucht.

Dennoch schlug mir die Antwort einfach auf den Magen. Denn wie können Sie erwarten, dass jedes Kind eine Zeitung daheim hat? Oder Nachbarn, die Zeitung lesen?

Gerade in der heutigen Zeit geht nun mal der Trend weg von Papier und hin zum virtuellen Lesen. Hier ist mein 72-jähriger Vater eines der besten Beispiele. Er hat früher jede Woche seinen Spiegel per Post erhalten. So viel Papier! Er war irgendwann genervt und stellte sein Abo auf das Online-Magazin um. Wesentlich entspannter genießt er nun seinen Spiegel schon am Sonntagabend.

Damit mein Sohn nun seine Hausaufgaben machen konnte, waren wir im nahen Zeitungsladen, haben die Zeitungen gewälzt, um auch eine mit Leserbriefen zu finden und haben eben das Geld ausgegeben. Ich frage mich nur, wie es bei den Kindern läuft, deren Eltern nicht aktiv bei den Hausaufgaben unterstützen und die hier auf einem Einzelkämpferposten sind. Die ebenfalls keinen im Umfeld haben, die noch das Papierformat der Zeitung beziehen. Oder nur auf die „Bild“ als Quelle zurückgreifen können.

Also grundlegend war es definitiv eine gute Idee, aber an der Umsetzung zweifle ich dann doch irgendwie. Denn 10-jährige könnten durch solche Aufgaben, aber auch durch eine solche Mail der Lehrerin schon zu Beginn der gymnasialen Laufbahn demotiviert werden.

Eine etwas beunruhigte Mutter

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Über Anne

Teilzeit-Alleinerziehend, Teilzeit-arbeitend, manchmal überfordert, Mama eines zuckersüßen Buben, Soldatenfrau, ein wenig verrückt und mit ganz viel Herz ausgestattet.