Die Bedeutung meines ersten Tattoos – Das Semikolon

Anne/ August 13, 2019/ Aus dem Leben

Seit meiner Jugend wollte ich mich schon immer tätowieren lassen. Es fehlte nur immer an einem Motiv von dem ich wüsste, dass ich auch noch in 30-40 Jahren damit zufrieden wäre. Als mein Sohn 2012 zur Welt kam und sich recht schnell zeigte, dass ein blauer Stern untrennbar mit ihm verbunden ist, sollte es eigentlich das Symbol werden. Doch überwinden konnte ich mich nie.
Nun kam es aber 2017 zu einer Diagnose und neuen Maßnahmen in meinem Leben, die 2018 zu DEM MOTIVWUNSCH für mein erstes Tattoo führten.

Man sieht es mir nicht an

Im Freundes und Bekanntenkreis gehe ich das Thema vollkommen offen an. Ich bin depressiv, seid 2017 in psychiatrischer Behandlung und habe soeben eine Gesprächstherapie abgeschlossen, die mich erst mal wieder in die Bahn brachte. Es geht mir aktuell gut. Doch ich muss mich selbst immer wieder selbst motivieren und aktiv halten. Die Tiefs halten sich zum Glück seit einiger Zeit in Grenzen.
Die Einflüsse für meine Depression sind umfangreich. Zum Beispiel war ich 16 Jahre alt und allein zu Hause als der Blitz knapp 2 Meter neben mir im Dach einschlug und mein Elternhaus nahezu ausbrannte. Menschen, die mir wichtig sind, werden von diversen Krankheiten gebeutelt und ich leide mit ihnen. Auch wenn ich versuche, sie aufzumuntern. Es kam zu Brüchen, unerwarteten Lebenseinschnitten, Einsamkeit, Verlustängsten… ich war irgendwann am Ende.

Eines möchte ich aber klar stellen

Ich hatte nie Selbstmordgedanken! Niemals! Nur Ängste, was aus meinem Sohn wird, wenn ich mal nicht mehr da wäre. Immerhin bin ich der Dreh- und Angelpunkt unserer Familie und kümmere mich um alles.
Doch diese Melancholie, Lustlosigkeit, Trägheit – einfach die mangelnde Lebensfreude – sind ein Teil von mir geworden. Auch wenn ich gelernt habe damit umzugehen, werdet ihr mich selten wahrhaft lächeln sehen. Die Freude kommt nur selten in meinem Inneren auch wirklich an.
Daher entschied ich mich dazu, ein Zeichen zu setzen. Dafür, dass es immer weiter geht. Dass ein Lebenseinschnitt kein Ende bedeutet. Keinen Punkt. Sondern einfach ein Teil eines Ganzen. Das Ganze ist mein Leben und ein Punkt wäre doch scheiße, oder? 😉
Die Bedeutung meines ersten Tattoos - Das Semikolon

Was ich vor meiner Motivwahl nicht kannte…

…war das Project Semicolon. Ich stieß bei meiner Suche nach einer Form für mein Semikolon darauf. Bis dahin wusste ich gar nicht, dass es ein „neuer Trend“ sei, sich ein Semikolon auf den Körper bringen zu lassen. Und ich hatte auch keine Bilder davon im Netz oder so gesehen. Dennoch finde ich, dass das Project Semicolon meine eigenen Gründe für dieses Tattoo sehr gut zusammenfasst.

„Ein Semikolon wird genutzt, wenn ein Autor seinen Satz eigentlich hätte beenden können, aber gewählt hat, es nicht zu tun. Der Autor bist du und dieser Satz ist dein Leben.“ – Project Semicolon

Was denkt ihr, wie oft ich ein „Oh“ kassiere, wenn ich mich als depressiv oute. Es ist einfach ein Stigma und man sollte dieses aufbrechen. Meine Mutter brach damals in Tränen aus, meine Brüder verstehen es nicht. Will ihre kleine Schwester wieder im Mittelpunkt stehen?
Nein, ich musste es mir selbst erst bewusst machen, was für Probleme ich mit mir herum schleppe. Ich machte es anfangs mit mir selbst aus, sprach mit meinem Mann darüber, mit Freunden und suchte mir dann auch endlich Hilfe. Meine Familie informierte ich tatsächlich erst, nachdem ich Gewissheit hatte. Denn so ein Hauch von „es-könnte-sein-dass-ich-mich-täusche“ war irgendwie immer dabei. Doch so konnte ich auch ihnen die Angst nehmen und begreiflich machen, dass ich Hilfe bekomme. Und diese Hilfe brauchte ich.

„Wenn du ein Semikolon auf dein Handgelenk schreibst, gibst du gleichzeitig ein Versprechen an dich selber ab, dass es ok ist, seine Hand auszustrecken und nach Hilfe zu suchen. Mache dich stark für dich selber oder andere, die Depressionen oder Angstzustände haben, sich selbst verletzen oder über Selbstmord nachdenken. Lass damit Kollegen, Freunde und Familie wissen, dass wir für sie da sind und wir uns gegen mentale Probleme und die Stigmatisierung, die damit einhergeht, auflehnen.“ – Project Semicolon

Und wisst ihr was? Meine Familie behandelt mich auch nicht anders als vorher. Was anfangs wie ein Stigma erschien, wurde ein Teil von mir und auch von meinem Umfeld akzeptiert. Es gibt noch immer jene, die es nicht als Krankheit akzeptieren und als Schwachsinn abtun. Oder jene, die einen in Watte packen wollen.
Mir egal! Ich gehe meinen Weg; stehe zu meiner Krankheit; lebe mit ihr und zeige es nun auch stolz an meinem Handgelenk, dass das Leben weitergeht. Ich bin aktiv, genieße meine Zeit mit der Familie und gehe mit Begeisterung arbeiten.
Und hadere ich doch mal mit mir, genügt ein Blick auf mein Tattoo und ich weiß, es geht weiter, es ist nicht das Ende.

„Bitte denken Sie daran, dass es Hoffnung auf ein besseres Morgen gibt.“ – Amy Bleuel, 31 und kämpft gegen Selbstmordgedanken

Share this Post