Lesesonntag: Ein Interview von Jaden Quinn mit Dr. Owen Martin und seinem Sohn Jack

Anne/ März 15, 2020/ Leseecke

Diese Woche gibt es mal etwas ganz anderes. Ich stecke noch immer mitten in der Reihe zu den McLain-Brüdern. Immer wieder frage ich mich, welche Intentionen die „Bösewichte“ verfolgen. Warum die McLain-Brüder so wichtig für deren Forschung ist? Warum sie überhaupt an Kindern Experimente ausüben?

Wie gut, dass Jaden Quinn mir Interview mit den beiden Antagonisten zur Verfügung stellte 😉

New Jersey, Mai 2000

Heute treffe ich mich mit Jack Martin, Antagonist aus der McLain-Reihe. Schon die Empfangshalle des Pharmakonzerns seines Vaters Dr. Owen Martin bereitet mir Unbehagen. Es ist nichts, worauf ich den Finger legen könnte, doch der auf Hochglanz polierte Marmorfußboden, (ernsthaft Marmor? Wer trampelt den tagtäglich über so ein Material?) verbunden mit dem vielen Glas und Chrom, gibt mir das Gefühl völlig fehl am Platz zu sein. Das ist eindeutig nicht meine Welt. Daran ändern auch die vielen Pflanzen nichts, die in großen eckigen Schalen (Schalen ist gut, die Dinger sind so halb groß wie mein Balkon) so geschickt angeordnet sind, dass sie die riesige Halle unterteilen. Dazwischen stehen Sitzgruppen aus schwarzem Leder, in deren Nähe sich Kerle in schwarzen Anzügen aufhalten. Das Wort Security ist ihnen beinahe auf die Stirn gemalt. Echt mal, was soll das sein? Die Zentrale der Men in Black? Ich stocke bei dem Gedanken.

Verdammt, ich bin reingefallen, obwohl ich es besser wissen müsste. Die Männer, die sich so offensichtlich zeigen, sind nicht die, vor denen ich mich in acht nehmen sollte. Mein Blick schweift durch die Halle. Da, der Bote nahe der Eingangstür, schaut sich ein wenig zu gründlich um, und der Typ mit dem Aktenkoffer sieht eine Winzigkeit zu durchtrainiert aus. Oh ja, ein Owen Martin verlässt sich nicht auf sichtbaren Schutz oder auf den der zahlreichen Überwachungskameras. Auch wenn ich sicher bin, das die elektronischen Helfer mich bereits im Visier haben.
Meine Vermutung wird bestätigt, als eine perfekt gestylte Blondine (muss der Mann eigentlich jedes Klischee erfüllen?) neben mir auftaucht und ihr Lächeln anknipst. Ihre Zähne sind so weiß, dass es mich beinahe blendet.

»Miss Quinn?« Auf mein Nicken fügt sie hinzu: »Dr. Martin erwartet sie bereits, wenn Sie mir bitte folgen möchten.«
»Dr. Martin? Ich bin mit seinem Sohn verabredet. Jack …«
»Mr. Jack Martin wird diesen Termin zusammen mit seinem Vater wahrnehmen. Immerhin sind sie eine wichtige Person für diese Firma. Ohne Sie gäbe es uns nicht.«
Schön, dass ihr das klar ist. Das hindert sie vielleicht beim nächsten Mal daran, mir das Wort abzuschneiden. Ich hasse ihre perfekt modulierte Stimme, ebenso ihre Fähigkeit, auf ihren acht Zentimeter Absätzen nahezu zu schweben. Ich selbst schwanke auf meinen vier Zentimeter Absätzen hinter ihr her. Meine ausgetretenen Chucks erschienen mir für dieses Treffen nicht angemessen. Nun verfluche ich mich dafür, aber für einen Owen Martin ist das äußere Erscheinungsbild maßgeblich. Also beiße ich die Zähne zusammen und folge Blondie zum Fahrstuhl, der uns in die oberste Etage des Gebäudes bringt.

Auch hier erwartet mich viel Chrom und Leder, die vorherrschenden Farben sind Schwarz und Silber. Ebenso in dem Büro, in das ich geführt werde. Nichts Persönliches gibt es hier, lediglich kühle Eleganz. Ebenso kühl, wie der Gesichtsausdruck der beiden Männer, die auf – natürlich schwarzen – Sesseln um einen runden Tisch sitzen und mir entgegensehen.

Der Ältere von Ihnen erhebt sich. »Miss Quinn, wie schön, dass sie es einrichten konnten.«
Nett ausgedrückt, immerhin habe ich ihn, bzw. Jack zu diesem Treffen genötigt. Mir hätte klar sein sollen, dass Owen Martin mich niemals allein mit seinem Sohn sprechen lassen würde.

Ich zwinge mich zu einem Lächeln, während ich die ausgestreckte Hand schüttle. Auch Jack steht auf. Er reicht mir allerdings nicht die Hand, sondern bleibt neben einem der Sessel stehen. Kerzengerade Haltung, die Beine etwas auseinander, die Hände vor dem Körper aufeinandergelegt, der Blick wachsam. Eine Position, die ich kenne, und die mich schwer schlucken lässt.

Dr. Martin ergreift erneut das Wort: »Bitte, nehmen Sie doch Platz.«
Ich befolge seine Anweisung, denn um nichts anderes handelt es sich, wobei mir ein Schauer über den Rücken läuft, als ich daran denke, welche Entscheidungen in diesem Raum alles getroffen wurden.
»Meine Sekretärin wird uns jeden Moment eine Erfrischung bringen. Für sie einen Kaffee, nicht wahr? Viel Milch, keinen Zucker.«

Sieh an, Martin hat seine Hausaufgaben gemacht. Vermutlich hat er Jack beauftragt, alles über mich herauszufinden. Ich nicke und mustere Jack. Er starrt zurück. In seinen Augen ist nichts außer Kälte. Ich zwinge mich, diesem Blick standzuhalten, auch wenn ich plötzlich am liebsten gar nicht hier wäre.

»Kommen wir doch gleich zur ersten Frage«, fange ich daher sofort an. »Die Leser möchten deinen vollständigen Namen wissen und ob du einen Spitznamen hast.«
»Jack Martin, keine Spitznamen«, antwortet Jack gewohnt knapp.
Ich ziehe eine Braue hoch. »Der vollständige Name bezieht auch den Geburtsnamen mit ein.«
Jacks Blick wird noch eine Spur kälter. Er antwortet erst, als Martin kaum merklich genickt hat.
»Jakob Randall Harper.«

»Also ist Jack der Spitzname. Naja, du hättest es schlechter treffen können. Randy bot sich ja auch an.«
Mein Versuch, die Stimmung aufzulockern, scheitert. Zumindest mutmaße ich das nach dem grollenden Laut, den Jack von sich gibt.

»Jack!« Martins Ausruf erinnert mich an den Besitzer eines Rottweilers in meiner Nachbarschaft. Der Ton, mit dem er seinen Hund ruft, ist derselbe.

Ich bin froh, dass ein Klopfen die angespannte Situation entschärft.
Endlich, der ersehnte Kaffee. Ein wenig erstaunt mich Martins Sekretärin. Zwar ist sie hübsch, entspricht aber nicht unbedingt der Supermodell-Kategorie, mit der er sich gern umgibt.

»Danke Susan«, lässt sich Martin herab zu sagen, worauf sie ebenso schnell – und wortlos – wieder geht.
Mir erscheint die Gelegenheit günstig, die zweite Frage loszuwerden. »Wie alt bist du, Jack?«
»Einundzwanzig.«
»Wann ist dein Geburtstag?«
»Ich wurde am 01.05.1979 geboren.«
»Das führt mich zu der Frage nach deiner Herkunft.«

Wieder sieht er seinen Vater an. Innerlich knirsche ich mit den Zähnen. Irgendwie muss ich den Doktor loswerden, wenn ich eine unbefangene Antwort haben möchte.

»Die Wahrheit, Jack«, sagte ich, um allen Ausflüchten vorzubeugen.
»Meine Kindheit roch nach Urin und erbrochenem, aufgefrischt von dem allgegenwärtigen süß-herben Geruch von Marihuana. Ich hatte eine Mutter, die mehr daran interessiert war, an ihren nächsten Schuss zu kommen, anstatt …«

»Das reicht, Jack«, mischt sich Martin erneut ein. »Erzähl ihr von den guten Dingen.«
Umgehend gehorchte er. »Vor zwölf Jahren habe ich einen Raum betreten, der mein neues Zuhause sein sollte. Dort war es sauber, trocken, warm und es gab jeden Tag ausreichend zu Essen. Seitdem weiß ich, was Fürsorge ist.«
Mir wird kalt, denn ich weiß, dass er von dem Tag spricht, an dem Martin ihn ins Labor holte.

Um mich zu sammeln nippe ich an meinem Kaffee. Verdammt ist der gut. Ganz sicher aus so einem sündhaft teuren Kaffeevollautomaten. Ich muss mehr Bücher verkaufen, um mir endlich auch so ein Teil leisten zu können. Bevor ich ganz abschweife, stelle ich die nächste Frage.

»Erinnerst du dich, wo du geboren wurdest?«
Damit erreiche ich endlich eine Reaktion, die ganz von Jack kommt. Er verzieht zwar nur abfällig den Mund, aber immerhin.

»In New Jersey. Die ersten Jahre meines Lebens verbrachte ich in Camden. Der Wiege der Campbell-Dosensuppe, Produktionsstätte der bahnbrechenden Phonographen der Victor Talking-Machine Company und Füllfederhaltern, die einst auf beinahe jedem Schreibtisch Amerikas lagen. Aber dafür wurde ich ein paar Jahre zu spät geboren. Als ich dort lebte, gab es dort nur Hunger, Gewalt und Drogen.«

Ich schaudere unter dem harten Glanz in seinen Augen. Dann sieht er Martin an und der Anflug eines Lächelns erscheint. Die Veränderung ist atemberaubend, lässt mich blinzeln vor Staunen. Wie attraktiv, fast unschuldig, er mit einem Mal wirkt. Der Moment vergeht binnen Sekunden.

»Heute hingegen«, fährt er fort, »schlafe ich in einem Bett, breiter als die sogenannte Küche meiner Kindheit. Meine Kleidung ist maßgeschneidert. Ich trage Verantwortung, befehlige Untergebene, die sich mir unterordnen! All das habe ich einzig meinem Vater zu verdanken.«

Während ich erneut von meinem Kaffee trinke, betrachte ich die beiden Männer, die mit mir im Büro sind.
Dr. Owen Martin gehört zu dem Typ Mann, dessen Alter schwer zu schätzen ist. Ich denke, er ist Anfang bis Ende vierzig. Sein Anzug ist mit Sicherheit maßgeschneidert, denn er sitzt perfekt und verbirgt nicht, dass Martin auf seine Fitness achtet. Weder seine Größe, noch sein Aussehen ist auffällig. Auch sein Gesicht ist eher durchschnittlich. Das ebenfalls dunkle Haar, an den Schläfen von grau durchzogen, ist sorgfältig frisiert.
Würde er mir auf der Straße entgegenkommen, hätte ich ihn schnell wieder vergessen, wäre da nicht seine Ausstrahlung. Autorität und Dominanz umgaben ihn wie ein dicht gewebter Umhang. Selbst mir fällt es schwer, den Blick aus seinen dunklen Augen standzuhalten, dabei bin ich normalerweise nicht leicht einzuschüchtern.
Schnell sehe ich Jack an. Wie sein Adoptivvater trägt er einen maßgeschneiderten Anzug. Er ist kleiner als Martin, knappe 1,80, doch seine Schultern sind wesentlich breiter. Er wirkt kompakt, obwohl nicht ein Gramm Fett an seinem Körper zu finden ist (Ich weiß das sehr genau, denn ich habe ihn bereits nackt gesehen. Was ich ihm natürlich niemals verraten werde. Auch nicht, dass ich dabei eventuell ein wenig gesabbert habe. Das geht niemanden etwas an, immerhin bin ich eine professionelle Autorin.) Verdammt, zucken meine Finger etwa, weil ich ihm zu gern durch das kurz geschorene dunkle Haar fahren würde? Seine Augen, grau, wie Wolken an einem stürmischen Tag, blitzen auf.

Mein Atem stockt, dann zucke ich zusammen. Martins Stimme, dicht an meinem Ohr.
»Wenn Sie damit fertig sind meinen Sohn zu begaffen, als wäre er eine Ware, können wir mit den Fragen fortfahren. Er ist zu exklusiv für Sie, Miss Quinn.«

Im Versuch, weiterhin professionell zu wirken, lese ich die nächste Frage vor.
›Hast du Narben oder sonstige unveränderliche Merkmale?‹ steht auf meinem Zettel.
Nachdem mich Owen und Jack Martin gerade dabei ertappt haben, wie ich Jack mit den Augen beinahe ausgezogen habe, möchte ich das wirklich nicht fragen. Ich kenne ich Jacks Narben, weiß, wie er zu jeder Einzelnen gekommen ist.

»Irgendwelche unveränderlichen Merkmale?«, krächze ich dennoch.
»Möchten sie nachsehen, Miss Quinn?«
Oh verdammt ja! Erst als mir die Hitze in die Wangen schießt, komme ich zur Vernunft und schüttle den Kopf. Ich muss wirklich dringend an meiner Vorliebe für Psychopathen arbeiten.
Schnell stelle ich die nächste Frage: »Jack, worin liegen deiner Meinung nach deine Stärken? Was sind deine Vorlieben?«

Noch während Jack überlegt, ergreift Martin das Wort. »Jack ist unerbittlich. Wenn ich ihm einen Auftrag gebe, weiß ich, dass er ihn mit allen Mitteln ausführen wird, egal was es ihn selbst kostet. Das ist eine seltene Gabe. Eine, nach der ich lange suchen musste. Ich weiß, dass ich mit Jack die richtige Wahl getroffen habe. Er ist noch etwas zügellos, manchmal voreilig, und besagte Vorlieben, nach denen sie gefragt haben … nun davon stehen ihm hin und wieder einige im Weg. Welche das sind, werde ich hier nicht ausführen. Aber wenn ich mit ihm fertig bin, wird er unfehlbar sein.«

»Das bringt uns auf die Schwächen und Ängste«, erwidere ich.
Wieder antwortet Owen.
»Ich bin ein sehr rationaler Mensch. Die Dunkelheit oder Spinnen machen mir keine Angst. Ich wäge ab, kalkuliere, und ja hin und wieder bin ich besorgt. Meine Existenz ist abhängig vom Auf und Ab der Kapitalmärkte, von der Schweigsamkeit meiner Mitarbeiter und den Schmiergeldern, die ich zahle. Ein Fehler und alles was ich mir aufgebaut habe, könnte fort sein. Aber das ist der Konjunktiv. Ein einkalkuliertes Risiko in einer weitläufigen komplexen Rechnung, in der eine Variable sich nicht derart auf das Ergebnis auswirken könnte, als dass ich mich fürchten müsste.«

Ich beschließe, ihm den Gefallen zu tun, ihn direkt anzusprechen. Vielleicht erlaubt er dann auch Jack einmal selbst zu antworten.

»Haben Sie auch Hobbys?«
Owen nickt. »Nach der Arbeit verbringe ich viel Zeit in meinem Garten. Zwischen all den Zahlen und Texten die mich über den Tag begleiten, fasziniert mich das scheinbar chaotische Zusammenspiel natürlicher Prozesse, hinter dem trotz aller scheinbaren Wahllosigkeit ein logisches System steckt. Jeder Einfluss von außen wirkt sich auf dieses System aus. Alles hat Ursache und Wirkung. Das gefällt mir.«

Obwohl meine nächste Frage ebenso harmlos ist wie die vorherige, schlägt mein Herz ein bisschen schneller. Die Ausstrahlung von Jack und Owen Martin habe ich wirklich unterschätzt. Dabei habe ich sie selbst erschaffen. Trotz allem reiße ich mich zusammen und werfe einen Blick in meine Notizen.in
»Irgendwelche besonderen Talente?«

Zu meiner Erleichterung bleiben sowohl Martin als auch Jack gelassen. Es ist wieder Owen, der nach langem Überlegen antwortet.

»Ich bin ehrlich gesagt kein Freund von Talenten. Auf Talenten ruht man sich viel zu schnell aus, weil man sie für selbstverständlich hinnimmt. Keine Frage, jeder Mensch hat welche. Die Medien sagen gern über mich, ich wäre ein talentierter Geschäftsmann. Genaugenommen ist mein Erfolg jedoch kein Talent, sondern die Frucht harter Arbeit. Wenn ich dennoch ein Talent benennen müsste, würde ich sagen, ich bin ein Mensch, der die Befähigung hat, aus dem was er besitzt den größtmöglichen Nutzen zu ziehen.«

Ich nicke verstehend und sehe zu Jack hinüber, doch der hüllt sich in eisernes Schweigen, das ich nicht zu brechen wage und so verschlucke ich meine Neugierde und belasse es dabei.

Als ich die nächste Frage auf meinen Zettel lese, werde ich unruhig. Na wunderbar. Ich setze mich in meinem viel zu bequemen Ledersessel zurecht und zwinge mich sowohl Owen Martin als auch seinem Adoptivsohn Jack nacheinander in die Augen zu sehen.

»Würden Sie den Lesern die Beziehung zu Ihren Eltern näherbringen? Es wäre vielleicht gut, wenn Jack anfangen könnte«, wage ich todesmutig hervorzubringen, damit Owen sich nicht erneut dazu berufen fühlt stellvertretend für seinen Sohn zu antworten.

Owen nickt Jack zu, woraufhin dieser zu sprechen beginnt. »Über meine Kindheit habe ich ja schon genug gesagt«, zischt Jack, der alles andere als zufrieden wirkt. Ich nicke schweigend. »Meinen Erzeuger kenne ich nicht. Wird wohl irgendein besoffener Kerl auf der Suche nach einem guten Fick gewesen sein.«
»Jack«, mahnt Martin seinen Adoptivsohn und obwohl er nicht laut spricht, kriecht mir eine Gänsehaut über den Nacken.

Jacks Blick huscht schuldbewusst zu seinem Vater und für einen Moment fürchte ich, dass er für diesen Ausrutscher bezahlen muss. Doch Martin sagt und tut nichts und Jack spricht weiter.
»Der einzige Mann, den ich guten Gewissens Vater nenne, sitzt hier vor ihnen Miss Quinn. Owen hat mir mehr gegeben, als jeder andere und dafür respektiere ich ihn auch mehr als jeden anderen Menschen.«
Owen, der bequem die Beine übereinandergeschlagen hat, lächelt zufrieden in sich hinein. Als er meinen Blick einfängt, sagt er: »Jack ist der Sohn, den ich mir immer gewünscht habe. Alles was ich kann und weiß, versuche ich, an ihn weiterzugeben, so wie mein Vater dieses Wissen an mich weitergab.«
Ich schlucke, denn ich weiß um die perfide ›Ausbildung‹ die Jack ›genießt‹.
Erleichtert, dass die nächste Frage keinerlei Risiko birgt, nippe ich an meinem zweiten Kaffee und stelle meine nächste Frage: »Hat jemand von Ihnen Geschwister?«
Jack schüttelt den Kopf.

Martin schweigt einen Moment, dann nickt er langsam. »Ich hatte eine ältere Schwester. Allerdings geriet sie in Streit mit meinem Vater und verließ die Familie schließlich. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihr.«
Hektisch krame ich in meinen Unterlagen nach der nächsten Frage. Dass die Blicke von Jack und Owen Martin, dabei die ganze Zeit auf mir liegen, macht es nicht besser. Als ich den Zettel endlich gefunden habe, halte ich ihn triumphierend hoch.
»Da ist er ja.«

Martin sieht mich nur kritisch an. Mein Blick fällt auf seinen penibel sortierten Schreibtisch aus Mahagoni und dem Regal dahinter, das aussieht, als hätte noch kein Staubkorn es je berührt. Ich schlucke ertappt, räuspere mich und lese schnell vor, was da steht. »Gehören Sie zu einer bestimmten Gruppierung?«
Owen zieht amüsiert eine Braue nach oben. »Was ist schon eine Gruppierung. Aber schön, um ein paar zu nennen: Ich bin Geschäftsmann und ein in Amerika aufgewachsener Brite, außerdem Molekularbiologe. Falls man das eine Gruppierung nennen kann.«

Die nächste Frage fällt mir leicht, ist sie doch im Vergleich zu den vorherigen recht unproblematisch. Zumindest hoffe ich das. Was die beiden Männer mir gegenüber angeht, habe ich mich schon häufiger getäuscht.
»Beschreiben Sie doch bitte Ihre Lebenssituation – Wie leben Sie? Wie sieht es dort aus?«
»Ich …« Owen sieht zu Jack, »… wir leben in einem Wohnviertel in New Jersey. Die Gegend entspricht meinen Standards, allerdings zähle ich nicht zu den neureichen Investmentbankern, die glauben sie bräuchten einen Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach ihrer Villa. Mein Haus ist elegant und praktisch. Überbordender Protz ist mir zuwider. Es muss ästhetisch sein, mehr nicht. Nach diesem Prinzip ist auch mein Haus aufgebaut.«
Meine nächste Frage richte ich direkt an Owen, denn ich weiß, dass sich Jacks Antwort wie so oft nicht von der seines Adoptiv-Vaters unterscheiden wird.

»Sind Sie eher ein Ordnungfreak oder ein Chaot?«
Die Frage ist beinahe lächerlich im Angesicht des klar strukturierten Büros, doch Owens Meinung interessiert mich dennoch. Wie erwartet verzieht er bereits bei meiner Frage das Gesicht.
»Ein Mensch, der die Ordnung schätzt, ist in meinen Augen kein Freak. Mein Leben ist klar strukturiert. In jeder Hinsicht. Das macht mich nicht zu einem Freak, im Gegenteil. Meines Erachtens sind Menschen gegenteiliger Angewohnheiten, jene die Schwierigkeiten mit sich und ihrer Umgebung haben.«
Ich würde ihm ja widersprechen, wenn ich nicht einen Heidenrespekt vor dem Mann mit dem kalten Blick hätte und da nicht die zerknitterten Notizzettel auf meinem Schoß wären.

»Würdet Sie den Lesern erklären, was und wo Sie arbeiten und wie es dazu kam?«
»Ich bin der Geschäftsführer und Gründer des drittgrößten Pharmakonzerns in den Vereinigten Staaten. Seit meinem sechzehnten Lebensjahr habe ich auf diesen Posten hingearbeitet und es hat sich jedes Opfer gelohnt, das ich für meine heutige Stellung bringen musste. Jack hier«, er deutet auf seinen Ziehsohn, »ist trotz seiner relativen Jugend eine große Stütze für mich. Er kümmert sich um meine Sicherheit und natürlich auch die der Firma. Er versteht es, mit jeglicher Bedrohung umzugehen. Das ist eine große Erleichterung für einen Mann meines Formats.«
Vorsichtig linse ich zu Jack hinüber, der wie so oft keine Regung zeigt. Noch immer staune ich über seine sowohl beeindruckende als auch beängstigende Ausstrahlung. Selbst ohne Martins Worte wäre jedem klar, dass Jack ein Mann ist, mit dem man sich besser nicht anlegt.

Zu meinem großen Bedauern ist mein Kaffee leer. Eine Tatsache die mein Gastgeber ignoriert, denn ich bin mir sicher, dass er es bemerkt hat. Vermutlich ist das seine Art zu zeigen, dass er langsam die Geduld an diesem Interview verliert, weshalb ich schnell die nächsten Fragen stelle.
»Wie ist Ihr sozialer Rang. Wie angesehen sind Sie? Bekommen Sie viel Anerkennung?«

»Sozialer Rang? Nun unter normalen Umständen wäre ich ein durchschnittliches Mitglied der Oberschicht. Aufgrund der unzähligen – lächerlichen – Vorwürfe, die Neider und Konkurrenten gesät haben, komme ich jedoch in den Genuss jeder Menge Medienpräsenz. Nur wenige Menschen verstehen wirklich etwas von Mikrobiologie und der notwendigen Chemie zur Herstellung von Medikamenten. Viel zu schnell verteufeln sie Methoden und führende Wissenschaftler, deren Thesen sie gar nicht nachvollziehen können. Dieses Misstrauen gegenüber mir und meinen Tätigkeiten hat durchaus zum Erfolg meiner Firma beigetragen.«

Im Versuch, mich von meiner besten Seite zu zeigen – und weil ich die nächste Frage für harmlos halte – lege ich ein strahlendes Lächeln auf.

»Wie sieht es mit Freundschaften aus? Wer steht Ihnen beiden nahe?«
Der Blick, den Jack mir zuwirft, lässt mein Lächeln bröckeln wie eine Quarkmaske in der Sonne.
»Wozu sollten Freundschaften gut sein?«

»Zum Austausch, zur gegenseitigen Unterstützung, zu gemeinsamen Unternehmungen?«, wage ich vorzuschlagen.
Owen Martin lacht leise. Überrascht sehe ich ihn an.

»Ich – Wir – halten nichts von derartiger Zeitverschwendung. Die Kontaktpflege zu Geschäftspartnern ist aufwendig genug. Selbstverständlich gehen wir hin und wieder auch Bündnisse ein, doch die von ihnen genannten Attribute sollten stets innerhalb der Familie gepflegt werden. Absolute Loyalität gegenüber einer einzelnen Person ist zielgerichteter und bringt somit mehr Nutzen.«

Ich schlucke hart. Die Art wie Martin Loyalität lehrt, ist mir nur allzu bekannt.
Mittlerweile bin ich nicht mehr so sicher, dass derartige Fragen tatsächlich so unverfänglich sind, wie ich angenommen habe. Dennoch nehme ich meinen Mut zusammen und behalte wieder Jack, im Auge, während ich spreche.

»Wie sieht es mit einem Partner aus? Oder einer Affäre?«
Für einen winzigen Augenblick verändert sich etwas in Jacks Blick, doch der Moment ist so schnell vorüber, dass ich nicht sicher bin, ob ich mir das nur eingebildet habe.
Stumm schüttelt er den Kopf.

Dieses Mal bin ich froh, dass Owen das Wort ergreift: »Ich war verheiratet. Zweimal sogar. Es hat sich nicht als nutzbringend erwiesen. Jack wird seine Erfahrungen machen, wenn er soweit ist. Bis dahin ist es ihm selbstverständlich gestattet, seinen körperlichen Bedürfnissen bei entsprechend qualitativen Dienstleisterinnen nachzugeben. Auch wenn ich persönlich der Meinung bin eine Zeit der Enthaltsamkeit hin und wieder stärkt den Willen.«

Ist das so? Die Frage liegt mir auf der Zunge. Ebenso wie die, ob Owen auch bestimmt, wann Jack aufs Klo darf. Aber ich hänge an meiner Gesundheit und meinem Leben. Daher beiße ich mir auf die Zunge und halte meine Klappe. Ich bin versucht, mich bei Jack zu entschuldigen. Immerhin habe ich ihn erschaffen und ihn in allen Belangen seinem »Vater« ausgeliefert. Aber auch davon sehe ich ab. Er wüsste nicht einmal weswegen ich um Verzeihung bitte. Dennoch nehme ich mir vor, bei der Schöpfung neuer Charaktere behutsamer zu sein. In meinem Kopf höre ich meine Mitautorin lachen. Ich ignoriere es.

Schnell krame ich den nächsten Zettel mit meinen Notizen aus meiner Tasche hervor. Innerlich seufze ich. Auch diese Frage wird mir keine neuen Erkenntnisse liefern.
»Wo kann man Sie treffen? An welchen Orten halten Sie sich oft auf?«
Owen schnalzt missbilligend mit der Zunge.

»Drücken Sie sich klarer aus, Miss Quinn. Wer ist ›man‹? Geschäftspartner? Ihre angeblich so notwendigen Freunde? Der Eismann? Wenn sie nicht benennen können, wen sie mit ›man‹ meinen, schweigen sie besser.«
Wie ich es hasse, wenn er meine eigenen Worte gegen mich verwendet.
»Angenommen ich möchte Ihnen zufällig begegnen. Wo könnte ich das?«

»Sie?« Er betrachtet mich, als wäre ich ein Insekt, das sich in sein Büro verirrt hat und das sich in der Gefahr befindet von seinen auf Hochglanz polierten Schuhen zertreten zu werden. Aber vermutlich will er sich die Sohlen nicht beschmutzen, denn plötzlich lächelt er. »Nirgends, Miss Quinn. Weder ich noch Jack neigen dazu, uns herumzutreiben. Sie finden uns in der Firma, in meinem Haus oder hin und wieder auf einem Meeting oder einem Geschäftsessen.«

Bei der nächsten Frage stöhne ich innerlich auf.
»Hat einer von Ihnen besondere Kräfte? Beherrschen Sie Magie, oder ähnliches? Können Sie etwas besser als andere?«

Owen lacht. »Wer hat dieses Interview geschrieben? Ihnen ist klar, dass ich eine Figur aus einem Thriller und nicht die Schnullerfee bin, oder? Weder für meine, noch für Jacks Arbeit, ist irgendein Vodoo-Zauber vonnöten. Allerdings bedarf es gewisser Fähigkeiten und Einstellungen, die für uns unverzichtbar sind. Manche nennen es Kalkül, ich nenne es eine gesunde Berechenbarkeit, die Einteilung von Wertigkeiten. Wie viel bin ich bereit zu geben, wie weit kann ich gehen?« Er wirft Jack einen nachdenklichen Blick zu. »Die Befähigung diese Grenzen zu kennen und abzuwägen, das sind die wahren Stärken, die unsere kleine Familie so weit gebracht hat.«
Ich traue mich kaum, zu antworten, tue es aber dennoch. Immerhin habe ich einen Ruf zu verlieren. »Dann sind Sie in keinem Bereich besser, als andere?«

»Sich der Vorstellung hinzugeben, man wäre in etwas besser als andere, halte ich für eine sehr gefährliche Einstellung. Sie macht einen blind für das, was wirklich ist. Hybris war nie einer meiner Charakterzüge. Was mich allerdings zu dem Mann gemacht hat, der ich heute bin, ist meine gute Beobachtungsgabe und mein Gespür für Menschen. Jeder weiß, dass man sich mit mir besser nicht anlegt. Nicht weil ich besonders stark oder besonders klug bin, sondern weil ich zu jeder Zeit weiß, wie es um mich und meine Gegenspieler bestellt ist. Ich kenne meine eigenen Schwächen besser, als die meiner Kontrahenten und weiß mich zu schützen.«
Mein Mund ist so trocken, dass ich versucht bin, um eine weitere Tasse Kaffee zu bitten, aber ich wage es nicht. Daher klinge ich etwas heiser, als ich die nächste Frage stelle:

»Das bedeutet, Sie sind eher ein Kontrollfreak? Oder lassen Sie den Dingen auch mal auf sich zukommen?«
Der Blick von Owen Martin liegt mit einem Mal scharf wie ein Skalpell auf mir. Mir erscheint es, als seziere er mich tatsächlich. Als prüfe er Schicht für Schicht meiner selbst, um meine Schwächen und Stärken zu analysieren und bis in meine tiefsten Abgründe zu schauen. Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl umher, bis Martin mich aus seiner Aufmerksamkeit entlässt und stattdessen Jack ins Auge fasst.

»Wahre Kontrolle ist nur ein Trugbild«, sagt er und überrascht mich damit. »Es gibt sie nicht. Zwei Ehen gingen in die Brüche, weil meine jeweilige Lebenspartnerin, sich ›kontrolliert‹ fühlte. Aber ich kontrolliere nicht. Ich bin nur ein strukturierter Mensch. Stets den Überblick zu behandelten, hat mich im Leben weit gebracht, doch ich habe mich nie dem Glauben hingegeben, ich besäße die Kontrolle über das Leben. Ich lenke es nur in möglichst übersichtliche Bahnen.«

Die Antwort der letzten Frage gibt mir die Möglichkeit mich an Jack persönlich zu wenden.
»Gibt es ein Erlebnis in der Vergangenheit, dass dich prägte?«

»Sicher hat meine Kindheit mich geprägt«, beginnt er bedächtig, wird aber sofort von Dr. Martin unterbrochen.
»Wir wollten uns hier auf die angenehmen Dinge konzentrieren, mein Sohn.«

Jack nickt und nimmt Haltung an. Die Beine eine Handbreit auseinander, die Schultern zurück, der Rücken gerade. »Die Fürsorge meines Vaters prägte mich, seitdem ich acht Jahre alt bin.« Sein Blick geht stur geradeaus. »Man könnte also sagen, von Kindheit an.«

Oha, der letzte Satz gleicht beinahe einer Revolte. Rasch sehe ich zu Owen, um festzustellen, wie er reagiert. Etwas, das ich nicht einschätzen kann, blitzt in seinen Augen auf, doch zu meiner Erleichterung lächelt er gleich darauf.
»Das ist nicht allein mein Verdienst, Jack. Ich wählte deinen Ausbilder sorgsam aus.«

Ich blättere in meinen Notizen und werde fündig. »Bennett Harris«, lese ich ab. »Ehemaliger Ausbilder der Marines, unehrenhaft Entlassen.« Ich sehe Owen an. »Es heißt, er wäre als Ausbilder untragbar gewesen, da er an Sorgfalt habe mangeln lassen.«

Martin winkt ab. »Verleumdung. Da ich eine Firma zu leiten hatte, war es mit nur in den Abendstunden vergönnt, Jack in ein paar Lektionen Disziplin zu unterweisen. So musste ich mich nach jemand umsehen, der seine weitere Ausbildung übernehmen konnte. Harris erwies sich als Glücksgriff. Er begann an Jack vierzehnten Geburtstag damit, ihn zu trainieren. Bereits ein Jahr später konnte ich Jack die ersten eigenen Aufgaben übertragen. Ich will nicht leugnen, dass die Ausbildung hart war. Jack zahlte mit Schweiß, Tränen und Blut. Aber er hat durchgehalten. Das ist alles, was zählt. Denn aufgeben ist keine Option in dieser Familie.«

Oh, ich wusste nur zu gut, wie sehr Jack bezahlen musste. Um mich nicht zu verraten, wende ich mich noch einmal direkt an ihn.

»Wie bist du aufgewachsen?«

Erneut wird Jacks Blick abwesend. »Ich lebte mit meiner Mutter in einem winzigen Einzimmerapartment. Sie hat immer betont, es gehöre sich nicht, ein Kind allein zu lassen, daher ›arbeitete‹ sie zuhause. Ich schlief meist in der Badewanne, damit mich niemand sah. Aber ich hörte das Stöhnen meiner Mutter, das Grunzen von dem Kerl, den sie bediente, das Geräusch von Fleisch, das auf Fleisch prallt. Einmal, ich war etwa 3 Jahre alt, dachte ich, meiner Mum würde wehgetan werden. Ich kletterte also aus der Wanne und stürzte in den Wohnraum. Von da an schickte sie mich immer vor die Tür, wenn sie ihre Freier empfing.«
»Gab es denn nichts Gutes in den ersten Jahren deines Lebens?« Es muss etwas geben, sei es nur, damit ich mich nicht mehr so schuldig fühle.

Tatsächlich umspielt der Anflug eines Lächelns Jacks Lippen. »Wir hatten eine Nachbarin, sie sah mich oft unter dem schmalen Vordach über dem Kellerfenster hocken. Hin und wieder brachte sie mir etwas zu essen. Sie nannte mich Cachorro und redete auf mich ein. Ich verstand kein Wort. Sie konnte kein Englisch, ich kein spanisch. Als ich 5 Jahre alt war, starb meine Mutter und ich kam erst zu einer Pflegefamilie, dann in ein staatliches Waisenhaus. Dort lernte ich, dass es im Leben nichts umsonst gibt und ich mich wehren muss, wenn ich überleben will.«

Jack verstummt und Owen ergreift das Wort: »Ich wurde auf Jack aufmerksam, als ich dort nach Zöglingen suchte, die ich fördern kann. Ich erkannte sein Potential, obwohl er damals erst acht Jahre alt war. Angangs förderte ich ihn lediglich ein paar Stunden in der Woche im Büro. Wir unterhielten uns über das Leben und seine Erwartungen. Zwei Jahre später nahm ich ihn das erste Mal über das Wochenende mit zu mir nach Hause. Er erwies sich als gelehriger Schüler, daher nahm ich ihn ganz bei mir auf, als er vierzehn wurde.«

Nun ist es an mir zu nicken. Vermutlich wäre Owen gerne für diese ›gute Tat‹ bewundert worden, doch das bringe ich beim besten Willen nicht über mich.

»Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor? Welchen Ratschlag würden Sie Ihrem jüngeren Ich geben?«, will ich stattdessen wissen.

»Eine leicht zu beantwortende Frage«, meint Owen. »Ich werde, im Rahmen meiner Möglichkeiten, Großes vollbringen. Die Welt wird mich in Erinnerung behalten. Vielleicht nur, weil ich mich zu keiner Zeit Einschränkungen unterwerfe. Ich akzeptiere weder ein ›Nein‹, noch den Hinweis etwas wäre nicht möglich. Unmöglich bedeutet lediglich, dass noch kein Weg gefunden wurde. Nach meinem unausweichlichen Ableben, wird Jack meine Arbeit fortführen. Vorausgesetzt, er erfüllt weiterhin meine Erwartungen. Doch ich habe keinen Zweifel, dass er genau das tun wird.«

Ich hätte lieber eine Antwort von Jack, aber der nickt lediglich.
»Gibt es einen Rat, den du deinem jüngeren Ich geben würdest?«, frage ich ihn direkt.
Er scheint auch antworten zu wollen, doch erneut drängt sich sein Vater in den Vordergrund.
»Keinen. Das Leben ist kein Konstrukt, das sich mit einer Anleitung besser meistern lässt. Jede Erfahrung muss selbst gemacht werden. Alles was mir in der Vergangenheit Schwierigkeiten gemacht hat, hat mich gestärkt und gebildet. Mir diese Erlebnisse zu nehmen, um mir das Leben leichter zu machen, oder schmerzliche Erfahrungen zu ersparen, würde das Ergebnis verfälschen.«

Nur mit Mühe gelingt es mir, nicht missmutig das Gesicht zu verziehen. Was gäbe ich dafür auch nur eine halbe Stunde mit Jack allein reden zu können.

»Haben Sie eine Lebensphilosophie?«, frage ich stattdessen. »Wenn Sie eine Sache an sich ändern könntest, was wäre das?

»Ich bin überzeugt davon, dass sich der Erfolg eines Menschen aus seinen selbstgesteckten Zielen und seiner Leidensfähigkeit, diese Ziele zu erreichen zusammensetzt«, entgegnet Owen. »Die Frage ist nicht, ob du erfolgreich wirst, sondern wie weit du bereit bist zu gehen, um das zu erreichen, was du dir vorgenommen hast. Niemals aufzugeben, ist ein Grundsatz, der in meinem Leben eine Rolle spielt. Ändern würde ich Nichts. Ich bin ein Produkt dessen, was ich bin, was ich gern wäre, und wozu die Welt mich gemacht hat. Würde ich dem etwas nehmen oder hinzufügen, wäre ich ein Anderer und wenn ich etwas niemals tun wollte, dann das Leben eines anderen leben. Diese Grundsätze versuche ich an meinen Sohn weiterzugeben.«

Ich bin erleichtert, als ich die letzte Frage auf meiner Liste nachlese. ›Was bringt dich zum Lachen? Lachst du überhaupt?‹

Eine Frage, die ich im Grunde nicht stellen muss. Ein Blick in die Augen von Jack verrät mir alles, was ich wissen muss. Ich erinnere mich an eine Aussage eines Angestellten, die ich aufgeschnappt habe.
»Es heißt, Dr. Martins Sohn zu sein, hat mit Familie nichts zu tun. Es ist eine Ausbildung. Eine ohne Wochenende und ohne Feiertage. Jack lebt bei Martin, seit er vierzehn ist. Hast du ihm jemals in die Augen gesehen? Da ist nichts. Keine Regung, kein Gefühl, nicht einmal Hass.«

Dennoch frage ich. Die Reaktion verblüfft mich. Jack lächelt! Es ist unglaublich, wie verändert er dadurch wirkt. Seine Augen, bisher kalt wie Gletschereis, strahlen, sein Gesicht schaut um so vieles sanfter aus.
Und doch möchte ich schreien, als er sagt: »Die Erinnerung an alles, was mein Vater für mich getan hat, erfüllt mich mit Freude.«

Jaden Quinn und die McLain-Brüder

Jaden Quinn ist das Autoren-Gespann hinter den McLain-Büchern. Bisher sind „Blake McLain – Flucht“ und „Sam McLain – Verrat“ erschienen. Ab Mai wird auch endlich die Geschichte von Jack näher beleuchtet. Wobei dieses Interview schon mal einen guten Einblick in die Hintergründe dieses Mannes bietet.

Nächste Woche erfahrt ihr hier auch mehr zu Band 2 – Sam McLain 😉

Share this Post